Von Anfang an war das Versprechen da: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Doch bis diese Verfassungsnorm aus dem Jahr 1949 auch auf dem Lohnzettel ankam, vergingen Jahrzehnte. Und noch heute ist das Ziel nicht erreicht. Eine juristische Spurensuche.
Als das Bundesarbeitsgericht (BAG) 1955 ein bahnbrechendes Urteil zur Entgeltgleichheit fällte, stand Deutschland noch am Anfang der arbeitsrechtlichen Gleichberechtigung. Die Richter entschieden damals: Es ist verfassungswidrig, wenn Tarifverträge Frauen in separate – und schlechter bezahlte – Lohngruppen einordnen, nur weil sie Frauen sind.
Für die damalige Zeit war das revolutionär. Noch immer durften Ehemänner laut § 1358 BGB den Arbeitsvertrag ihrer Frau kündigen, und das „Normalmodell“ war die Hausfrauenehe. Der Gedanke, dass Frauen für dieselbe Arbeit denselben Lohn wie Männer bekommen sollten, war politisch brisant – und ökonomisch umstritten.
Von Leichtlohngruppen und rechtlicher Gleichstellung
Nach dem Urteil verschwanden zwar die expliziten Frauenlohngruppen, doch neue Mechanismen entstanden. So etwa die sogenannten „Leichtlohngruppen“, die sich formal auf weniger anstrengende Tätigkeiten bezogen – in der Praxis jedoch vor allem Frauen betrafen. Damit setzte sich die Lohnungleichheit über Umwege fort. Erst mit der Gleichstellung im Zivilrecht ab den 1970er-Jahren und der Familienrechtsreform von 1977 begann sich das Bild zu ändern.
1979 zog der Gesetzgeber nach: § 611a BGB verbot erstmals ausdrücklich die Benachteiligung von Frauen im Arbeitsverhältnis. Später gingen diese Schutzvorschriften im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) auf, das 2006 in Kraft trat.
Europa macht Druck: Lohngleichheit wird zur Pflicht
Während Deutschland mit internen Aushandlungsprozessen beschäftigt war, machte die Europäische Union schon früh Nägel mit Köpfen. Artikel 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) schreibt seit 1957 die Lohngleichheit zwischen Männern und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit verbindlich vor. 1975 folgte die erste Entgeltgleichheitsrichtlinie – inzwischen durch die Richtlinie 2006/54/EG ersetzt.
Besonders brisant: EU-Recht ist unmittelbar anwendbar. Arbeitnehmerinnen hätten ihre Rechte also auch direkt vor nationalen Gerichten einfordern können – doch vielen war das weder bewusst noch praktisch möglich. Die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit blieb bestehen.
Das Entgelttransparenzgesetz: Viel Hoffnung, wenig Wirkung?
2017 verabschiedete der Bundestag das Entgelttransparenzgesetz. Es sollte Licht ins Dunkel der betrieblichen Lohnstrukturen bringen. Seitdem haben Beschäftigte in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeiter:innen das Recht zu erfahren, wie Kolleg:innen in vergleichbaren Positionen vergütet werden – aufgeschlüsselt nach Geschlecht.
Doch in der Praxis erweist sich das Gesetz als zahnloser Tiger: Viele Anfragen laufen ins Leere, Transparenz bleibt ein Kampfbegriff. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt zu dem Schluss: „Der Effekt des Gesetzes auf den Gender Pay Gap ist gering.“
Neue Klarheit vom Bundesarbeitsgericht
Im Februar 2023 sorgt das BAG erneut für Schlagzeilen: Eine Arbeitnehmerin hatte geklagt, weil sie bei gleicher Tätigkeit und Qualifikation deutlich weniger verdiente als ihr männlicher Kollege. Der Grund? Er hatte „besser verhandelt“. Das BAG entschied: Das allein reicht nicht aus, um eine Entgeltdifferenz zu rechtfertigen.
Das Urteil verlagert die Beweislast auf die Arbeitgeberseite: Sie müssen objektive Gründe vorlegen, wenn sie unterschiedlich zahlen – etwa höhere Qualifikationen, Verantwortung oder Erfahrung. Der bloße Hinweis auf Marktmechanismen oder individuelle Deals reicht nicht mehr.
Der Gender Pay Gap bleibt bestehen
Trotz allem: Der Weg zur Lohngleichheit ist noch nicht zu Ende. Laut dem Statistischen Bundesamt beträgt der unbereinigte Gender Pay Gap in Deutschland rund 18 Prozent – einer der höchsten Werte in der EU. Bereinigt, also unter Berücksichtigung struktureller Unterschiede wie Teilzeit oder Branche, bleibt eine Lücke von etwa 6 bis 7 Prozent.
Ein neuer Anlauf aus Brüssel
Die Europäische Union will das ändern: Mit der im Jahr 2023 beschlossenen Lohntransparenzrichtlinie kommen neue Pflichten auf Unternehmen zu. Ab 2026 müssen sie ihre Entgeltstrukturen offenlegen, Gender Pay Gaps prüfen und begründen – oder schließen. Wer Unterschiede über fünf Prozent nicht erklären kann, muss handeln. Beschäftigte bekommen zudem neue Auskunftsrechte und können bei Diskriminierung einfacher klagen.
Gleiches Recht, gleiche Chancen – aber noch nicht gleicher Lohn
Die Lohngleichheit ist ein juristisches Ideal, das auf eine wechselvolle Geschichte zurückblickt. Von den mutigen Richtern des BAG in den 1950er-Jahren über europäische Richtlinien bis zu nationalen Transparenzgesetzen: Der Anspruch ist klar – die Umsetzung bleibt schwierig.
Ein Lohnzettel verrät oft mehr als nur Zahlen: Er zeigt, wie viel eine Gesellschaft von Gleichberechtigung hält.
Rechtsanwalt & Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. jur. Jens Usebach LL.M. von der kanzlei JURA.CC bearbeitet im Schwerpunkt das Kündigungsschutzrecht im Arbeitsrecht. Der Fachanwalt für Arbeitsrecht vertritt Mandanten außergerichtlich bei Aufhebungsverträgen und Abwicklungsverträgen bei der Kündigung des Arbeitsvertrages durch den Arbeitgeber. Soweit erforderlich erfolgt eine gerichtliche Vertretung bei der Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht mit dem Ziel für den Arbeitnehmer eine angemessene und möglichst hohe Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes, ein sehr gutes Arbeitszeugnis für zukünftige Bewerbungen oder auch die Rücknahme der Kündigung und die Weiterbeschäftigung zu erzielen.
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